Des Öfteren fällt mir in Gesprächen auf, dass manche daraus schlussfolgern, das Ziel wäre, gegenüber allem eine gleichgültige / neutrale Haltung zu entwickeln. Nach meinem Verständnis ist genau das Gegenteil der Fall. In vorliegenden Artikel beleuchte ich dieses Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Außerdem widme ich mich der Frage, ob Akzeptanz bedeutet, dass man sich allem entzieht, oder ob auch Yogis für etwas aktiv "Stellung" beziehen und eintreten. Das höchste Ziel des Yoga, ist schlussendlich das Gleiche, wonach auch der Buddhismus sowie Hinduismus strebt: Befreiung / Erleuchtung! Wie diese Erleuchtung genau aussehen soll und wie man sie erlangt, dafür haben sie alle teils ähnliche und häufig unterschiedliche Ansätze. Das wichtige, nämlich der Gedanke der Befreiung begegnet uns in allen Traditionen. Stellt sich die Frage: Befreiung wovon? In aller Kürze könnte man darauf antworten, dass nach einem Zustand gestrebt wird, in dem man an nichts mehr anhaftet. Man nimmt zwar alles wahr, je weiter man auf dem Weg der Befreiung geht, desto mehr nimmt man sogar im Vergleich zum gewöhnlichen moderne Mensch wahr. Der Punkt ist aber: Man wird von dem was einem begegnet nicht mehr ständig in ein Gefühl geworfen, sondern betrachtet es und nimmt es als ein Teil Brahmans an. Brahman ist nach der yogischen Philosophie ALLES, die Existenz von schlichtweg allem ist darin inbegriffen. Es ist eine omnipräsente Energie, also unsichtbar, unhörbar, undenkbar. Da sie jedoch zeitlos und endlos ist, ist sie immerwährend vorhanden, wohnt allem inne und liegt allem zugrunde. Würde man es mit dem christlichen Glauben vergleichen, handelt es sich auch bei Brahman um etwas göttliches, nur dass es nicht zwangsläufig personifiziert ist. In vielen Traditionen wird es als die Urenergie gesehen, in der all die "Götter", die uns im Hinduismus begegnen, ihren Ursprung haben. In anderen wird Brahman wiederum als personifizierte Energie verehrt. Worin sich jedoch auch hier alle einige sind ist die Kernaussage: Es ist die Kraft aus der alles entsteht, die Urenergie. Um es auf uns selbst umzumünzen: Brahman ist in dem, was wir schön finden und genauso in dem was uns nicht gefällt. Es fließt in dem, was wir sehen und als real empfinden und ebenso in all dem, von dem wir nicht mal zu träumen wagen und das jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Patanjali, ein indischer Gelehrter und Autor des klassischen Yoga Leitfadens - Yogasutra genannt - beschreibt einen achtstufigen Prozess, der zur Befreiung führt. Hierauf gehe ich ein anderes Mal gerne genauer ein. Jetzt sei nur so viel gesagt: Die Yamas - Verhaltensempfehlungen anderen gegenüber - und Niyamas - Verhaltensempfehlungen uns selbst gegenüber - bilden die erste Stufe auf diesem Weg. Und wie sollte es auch anders sein: Eine respektvolle Grundhaltung allen Geschöpfen gegenüber ist unerlässlich. Patanjali sagt sinngemäß ganz klar: Allen wohnt dieselbe Energie inne, verhalte dich daher auch entsprechend. Machen wir uns das bewusst, treten wir heraus aus der ständigen subjektiven Bewertung und nehmen es als Teil des Ganzen an. Getreu dem Motto: Ohne Schatten, gibt es auch kein Licht. Und was wir aus der jetzigen Perspektive als "schlecht" empfinden, sieht aus einer anderen evtl. "gut" aus. Es liegt auf der Hand, dass über den Zustand der Akzeptanz und Annahme viel philosophiert wird. Manche meinen, es würde bedeuten, gleichgültig zu sein. Eine Haltung zu entwickeln, in der einem alles egal ist, man als neutral bezeichnet werden kann und verschiedene Erlebnisse einen nicht mehr tangiert. Nach meiner Wahrnehmung passt das gar nicht zum yogischen Gedankengut. Ich denke es geht vielmehr um das genaue Gegenteil von Gleichgültigkeit. Wenn wir Yoga praktizieren und uns mit der Yogaphilosophie beschäftigen, fällt alsbald auf, dass es eine Vielzahl an Praktiken gibt, die vor allem ein Ziel haben: Unser Herz zu weiten und unsere Liebesfähigkeit zu verstärken. Anfangen tun wir bei Yoga mit allem stets bei uns selbst. Wir lernen achtsamer mit uns selbst zu sein und eine Haltung der Selbstliebe sowie Selbstwertschätzung zu kultivieren. Je mehr wir mit uns selbst in Frieden gehen und uns selbst als kostbar ansehen, unsere Einzigartigkeit schätzen sowie uns selbst unsere Macken zugestehen, desto mehr öffnet sich unser Herz und unser Verständnis für die Menschen um uns herum. Schlussendlich erkennen wir in allem etwas Liebenswertes und lassen uns gegenseitig so sein wie wir sind. Je weiter Menschen diesen Weg gehen, desto mehr leben sie aus ihrem Herzen heraus. Ihr Herz fließt buchstäblich vor Liebe über, da ist für Gleichgültigkeit überhaupt kein Raum. Vielmehr haben sie gelernt, statt nur einen Teil der Dinge zu lieben, ihr Herz für immer mehr Aspekte des Lebens zu öffnen. Liebe ist DER GRUND, wieso Yogis mit der Welt in Frieden gehen. Liebe sich selbst gegenüber, weil es Körper & Geist nachweislich schädigt, wenn wir es nicht schaffen uns selbst anzunehmen sondern mit allem in / um uns herum ständig hadern. Und Liebe zu anderen, weil sich jeder von uns danach sehnt, so sein zu dürfen, wie er ist, mit all seinen kleinen Ecken und Kanten. Man haftet also nicht mehr den Dingen an sondern betrachtet alles als „göttlich“, nicht im religiösen Sinne, sondern vielmehr aus dem Blickwinkel heraus, dass alles aus der höchsten Energiequelle entstanden ist. Alles um und in uns ist ein Teil des Ganzen und hat somit unsere Liebe und Wertschätzung verdient. Mir ist bewusst, dass die Welt in der wir leben nicht nur bling blink sparklefull ist, sondern teilweise echt richtig heftige Sachen passieren. Damit in Frieden gehen, wie soll das denn möglich sein. Und vor allem wozu überhaupt? Ich mache es mir jetzt evtl. nach der Auffassung mancher etwas einfach, aber: Geh gedanklich nicht soweit. Mach dir nicht jetzt schon Gedanken darüber, wo das Ziel ist und wie das Ende aussieht. Lass dir nicht von deinem Money Mind einreden, dass es gar keinen Sinn hat, deine Lebenseinstellung zu hinterfragen und anzufangen zu verändern, nur weil du das wohlmögliche Endergebnis noch nicht verstehst und greifen kannst, es für idiotisch hältst oder das Gefühl hast dort niemals an zu kommen. Geh doch einfach mal los und schau dann, was passiert. Was es mit dir macht, was sich ändert. Vieles im Leben verstehen wir doch erst durchs tun. Dadurch öffnets ich ein neuer Horizont. Mal ganz im Ernst: Was hast du denn zu verlieren??? Ich will es mal mit einem ganz einfachen Beispiel verdeutlichen: Ist man am Fuße eines mächtigen Berges, wirkt er wohlmöglich bedrohlich. Vielleicht haben wir schon gar keine Lust loszulaufen, weil es uns als totaler Irrsinn vorkommt, da hoch zu wollen geschweige denn heil an zu kommen. Wohlmöglich laufen wir zum ersten Mal auf einen Berg und erklären andere für verrückt, die uns von dem Ausblick auf der Bergspitze vorschwärmen und das schon unzählige Male gemacht haben. Natürlich können wir unten ewig über das für und wieder lamentieren, oder aber, wir laufen einfach los und machen unsere eigenen Erfahrungen. Wenn wir auf dem Weg nach oben uns nicht damit irre mache, wie hoch und weit wir noch gehen müssen, sondern uns auf den Weg konzentrieren, auf den jeweils nächsten Schritt und uns sagen "einfach mal schauen, wie weit ich komme, ich gehe soweit es für mich gut ist..." kann es uns leicht passieren, dass wir unversehens bei einer Zwischenstation ankommen. Von hier, haben wir eine völlig neue Perspektive, sehen die Weite des Tales, sehen erstaunt zurück und sind völlig perplex, was wir schon geschafft haben. Wir betrachten den atemberaubenden Ausblick, schnuppern die frische Bergluft und sind wohlmöglich total beseelt / berauscht von der Erfahrung. Wir sind dann immer noch nicht auf der Bergspitze angekommen, haben aber das erste A-ha Erlebnis und es zieht uns sehr wahrscheinlich weiter... Lauf doch einfach mal los, auf dem Weg der Annahme. Beginne mit den kleinen Dingen, denen die nicht weltentscheidend sind. Ich wette mit dir, du wirst eine Unzahl an Situationen finden, in denen du dich üben darfst und in denen es um nichts Entscheidendes geht außer "wie viel Prozent meines Tages bin ich mit mir selbst und meinem Umfeld in Frieden und wie viel Prozent verheddere ich mich in Unfrieden" oder anders gesagt "wie viel Stunden bin ich glücklich und wie viel grummelig". Versuche den Anteil des Friedens mehr und mehr auszudehnen - es ist echt unbeschreiblich, welche Auswirkungen das haben kann. Eines ist sicher: Du wirst deine Tage viel häufiger als schön, bunt und erfüllend empfinden, als zuvor. Und wie du so auf dem Weg voran schreitest, die eine oder andere Erfahrung machst, das eine oder andere A-ha Erlebnis hast, wird dir vielleicht auch ein bisschen klarer werden, wie das mit der Annahme im großen Stil funktioniert ;) Eine Sache ist mir aber doch noch wichtig: Annehmen heißt nicht Tatenlosigkeit. Und nein, Spiritualität bedeutet nicht, die Probleme der Welt einfach hinzunehmen. Bei Yoga steht wie schon gesagt die Liebe stark im Fokus. Selbst- aber auch Nächstenliebe. Eines der bekanntesten Mantras ist: Entsprechend ist auch der Gerechtigkeitssinn ausgeprägt und der Wunsch nach einem friedlichen Miteinander. Und zwar nicht nur für Menschen, sondern auch Tiere. Seit jeher gab und gibt es unter Yogis friedliche Freiheitskämpfer und Aktivisten im besten Sinne. Sie setzen sich auf die verschiedensten Arten für die Freiheit von Mensch und Tier ein und kämpfen für Gleichberechtigung. Hier mal ein paar namhafte yogische Beispiele: Einer der wohl bekanntesten friedvollen Freiheitskämpfer war Mahatma Gandhi, ihn kennt man auch weit außerhalb der "Yogascene". Aber auch Sri Aurobindo machte sich im Kampf um die Unabhängigkeit und Freiheit Indiens durch seine kraftvollen Parolen einen Namen und war auch bereit, wegen seine Auffassungen mehrere Jahre im Gefängnis zu verbringen. Sri T. Krishnamacharya, der Begründer des modernen Yoga, setzte sich trotz heftiger Widerstände und Anfeindungen für die Gleichberechtigung ein, indem er sich darüber hinwegsetzte, dass Frauen weder in die heiligen Schriften eingeweiht wurden, noch Yoga praktizieren durften. Er unterrichtete alle Menschen. In Indien war Yoga Langezeit nur einer kleinen Elite vorbehalten. Verschiedene weitere Meister setzten sich ebenfalls über diese Tradition hinweg und öffneten die Tore für das gewöhnliche Volk aus Nächstenliebe. Swami Vivekananda und Yogi Bhajan gingen noch einen großen Schritt weiter und brachten entgegen der Empörung vieler Yoga nach Europa und in die USA. Sharon Gannon die Begründerin des Jivamukti Yoga setzt sich wiederum mit Herz und Seele für Tierschutz und Tierrechte ein, hat diverse Bücher verfasst, Interviews gegeben sowie Internetauftritte gehalten, in denen sie die Menschen zu einem bewussteren Umgang mit ihrem Umfeld aufruft. Ich könnte die Liste gefühlt endlos fortsetzen. Wie du siehst, gibt zeichnet sich die Yogatradition durch Aktivisten aus. Und das ist auch gut so. Denn wie echt kann Nächstenliebe schon sein, wenn sie bei der eigenen Bequemlichkeit oder der eigenen Haustüre endet. Ja, soviel zu meinem kleinen Exkurs zum Thema Annahme und meinem Appell an dich, es einfach mal zu probieren. Lass uns unter den Kommentaren gerne an deinen Erfahrungen teilhaben. Alles Liebe. Herzensgrüße Deine Eszter
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